Bildungsungleichheit in Deutschland

Bildungsungleichheit in Deutschland

02.06.2022

10 min

Rieke Burfeind

Ingvar Zahlaus

Auf einen Blick

  • Bildungsungleichheit beginnt bereits bei der Vergabe von Kitaplätzen.
  • In kaum einem Land der OECD ist der Bildungserfolg von Kindern so stark vom Elternhaus abhängig wie in Deutschland.
  • Während der Corona-Pandemie sind in Deutschland (stärker als in anderen Ländern) bereits vorhandene Bildungsungleichheiten verstärkt worden.

In Deutschland haben doch alle die gleichen Chancen? Das ist leider nicht ganz so. Die empirische Bildungsforschung zeigt, dass Unterschiede in schulischen Leistungen von Kindern nicht zufällig, sondern entlang bestimmter Ungleichsdimensionen auftreten.

Soziale Herkunft von Kindern spielt noch immer eine große Rolle – wenn nicht sogar die Größte – was Bildungschancen im gesamten Leben angeht.  Kinder, deren Eltern einen niedrigeren Bildungsabschluss haben oder ein geringeres Einkommen, haben eine deutlich geringere Wahrscheinlichkeit auf ein Gymnasium zu gehen, das Abitur zu schaffen oder ein Studium zu beginnen und abzuschließen, als Kinder aus Familien mit höherem Bildungsabschluss oder höherem Einkommen (Bpb, 2019). In kaum einem Land der OECD ist der Bildungserfolg von Kindern so stark vom Elternhaus abhängig wie in Deutschland – das haben unter anderem internationale Vergleichsstudien wie PISA und IGLU immer wieder gezeigt (Bpb, 2013).  Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen oder bildungsfernen Familien haben von Beginn an Nachteile, die sich im Lebensverlauf weiter vergrößern. Aber woran liegt das? Weshalb sind Akademikerkinder im Vorteil? Und was kann getan werden, um diese Ungleichheiten auszugleichen?

Rolle von sozialer Herkunft & Kita

Bildungsungerechtigkeiten beginnen bereits bei der Wahl des Kitaplatzes: Die Zeit in Kitas ist extrem wichtig für die persönliche Entwicklung von Kindern, um Fähigkeiten zu lernen, die nicht nur für den schulischen Erfolg, sondern die gesamte menschliche Entwicklung relevant sind. Doch nicht alle Kinder haben die gleichen Chancen auf einen Kitaplatz. Studien zeigen, dass Kinder, deren Eltern beide ein geregeltes Einkommen haben, bei der Kita Platzvergabe bevorzugt werden (Bpb, 2019). Nicht nur das Einkommen und der Arbeitsplatz beeinflusst die frühkindliche Bildung. Auch die Herkunft macht einen großen Einflussfaktor aus: Besonders für Kinder mit Migrationshintergrund wäre ein guter Krippenplatz enorm wichtig, um frühzeitig Sprachbarrieren abzubauen. Allerdings haben es Familien, die nicht ursprünglich deutsch sind, zum Beispiel durch Sprachbarriere und bürokratischen Aufwand schwerer gute Krippenplätze zu finden. So startet bereits vor der Schule ein System, das besser gestellte Menschen nicht nur bevorzugt, sondern auch Kinder aus bildungsferneren Schichten benachteiligt. Schon während der Grundschule geht die Benachteiligung dann weiter.

Hilfe Zuhause
In Akademikerfamilien bekommen Kinder meist mehr Hilfe von Zuhause. Wenn mal der Unterricht ausfällt, können Eltern helfen. Nachhilfe kann ohne Probleme finanziert werden. Gerade während den dramatischen Phasen der Corona-Pandemie machte dies einen erheblichen Faktor aus: In finanziell stärker aufgestellten Familien konnte sich zum Beispiel ein Elternteil Zeit nehmen, um mit Kindern gemeinsam Aufgaben und Unterricht von Zuhause zu bewältigen. Kindern ohne diesen starken finanziellen Hintergrund mangelt es dagegen schon an den Basics: Laptop, stabiler Internetzugang … In einigen Familien gibt es vielleicht nur ein Arbeitsgerät, das Geschwister unter sich aufteilen müssen. Während der Corona-Pandemie sind so bereits vorhandene Bildungsungleichheiten verstärkt worden, in Deutschland ist dies noch gravierender als in anderen Ländern (WDR, 2021).

 

Grundschule – Weiterführende Schule als der bestimmende Faktor

Die Entscheidung, ob ein Kind auf ein Gymnasium, eine Real- oder eine Hauptschule geht, ist die zentrale Weichenstellung in der Bildungsbiographie. Welche dieser Schulformen ein Kind nach der Grundschule besucht, hängt aber wiederum stark vom Bildungsniveau der Eltern ab. Kinder von Eltern mit Hochschulreife besuchen nach der Grundschule am häufigsten ein Gymnasium (61,7 Prozent), Kinder von Eltern mit Mittlerer Reife am häufigsten eine Realschule (48,8 Prozent) und Kinder von Eltern mit Hauptschulabschluss bzw. ohne Schulabschluss besuchen am häufigsten eine Hauptschule (38,3 bzw. 42,7 Prozent). Dies allein zeigt schon, dass sich auch Bildungschancen vererben, aber auf den weiterführenden Schulen gehen die Ungleichheiten weiter. Zum Beispiel sind Real- und Hauptschule deutlich stärker vom Lehrermangel betroffen, als Gymnasien (WDR, 2021).

 

Hochschulabschlüsse

Die Kluft zwischen Kindern aus Akademikerhaushalten und denen, deren Eltern nicht selbst studiert haben, ist auch bei der Aufnahme eines Hochschulstudiums zu beobachten. Kinder, deren Eltern selbst studiert haben, werden zu etwa 75 % selbst einmal studieren. Wohingegen Kinder von Eltern, die nicht studiert haben, nicht einmal ein Viertel selbst ein Hochschulstudium aufnimmt (Bpb, 2015). Die Gründe für dieses Phänomen sind vielschichtig. Kinder aus Nicht-Akademikerfamilien, gehen zu einer geringeren Wahrscheinlichkeit auf das Gymnasium, welches ein weiterführendes Studium erst ermöglicht. Hinzu kommt, dass, selbst wenn Kinder von Nicht-AkademikerInnen das Abitur machen, beginnen sie seltener ein Studium als die Kinder von AkademikerInnen (Bpb, 2015).

Grundsätzlich lassen sich auch bei dem Thema Bildungschancen die Folgen des Matthäus-Effektes erkennen. Dieser besagt, dass Erfolge weniger mit der den gegenwärtigen Leistungen zu tun haben und vielmehr mit der Erwartung eben dieser aufgrund von bereits erbrachten Erfolgen. Im Kontext der Bildung heißt das, dass wenn die Eltern eines Kindes bereits erfolgreich ein Studium abgeschlossen haben, dieser Erfolg auch von ihren Kindern erwartet wird (Bpb, 2014).

Wie kann dem entgegengewirkt werden?

Die Länder, welche bei den PISA-Studien erheblich besser abschneiden als Deutschland, machen es vor. So zeigt beispielsweise Kanada, wie ein effektives und gleichzeitig sozial gerechtes Bildungssystem funktioniert. Der Erfolg des kanadischen Systems beruht auf der intensiven Förderung von leistungsschwächeren Kindern von früh an (Bpb, 2014).

Ein weiterer Faktor ist die frühe Einstufung in das hierarchisch gestufte deutsche Bildungssystem. Je früher diese stattfindet, desto größer fallen die Leistungsunterschiede zwischen den sozialen Sichten aus. Daraus folgt, dass eine spätere Einstufung in die weiterführenden Schulformen Kindern aus schwächeren sozialen Schichten mehr Möglichkeiten zum Aufholen lässt (Bpb, 2014).

Das Beispiel Finnland zeigt, dass eine frühzeitige Ganztagsbetreuung vom Kleinkindalter an zu einer erheblichen Steigerung der Bildungschancen führt. So ist es in Finnland normal, dass SchülerInnen von der ersten Klasse an Ganztagsunterricht haben, dies kommt besonders Kindern aus schwächeren sozialen Schichten und MigrantInnen zugute. So ist es in Finnland normal, dass Kinder nach regulären Unterricht ihren Hobbys und Sport im Rahmen der Schule nachgehen können (Bpb, 2002). 

Andere Länder haben bereits gezeigt, dass Bildungsungleichheit ein Problem ist, welchem mit den richtigen Mitteln entgegengewirkt werden kann. In Deutschland besteht jedoch nach wie vor viel Handlungsbedarf in diesen Bereich.

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