23/04/2022
10 mins
Rieke Burfeind
Auf einen Blick
- Kaufen macht Spaß, weil dein Gehirn süchtig machende Botenstoffe beim Kaufprozess ausstößt.
- Werbepsychologie und Marketing nutzt besondere Tricks, um dich zu noch mehr Konsum zu bewegen
- Die Textilindustrie verursacht aktuell mehr CO2 als internationale Flüge und Kreuzfahrten zusammen
- Eine Näherin verdient an einem 4,99 Shirt 13 Cent.
- Gar nicht kaufen schlägt nachhaltig kaufen! Mit den Tricks am Ende des Artikels helfen wir dir deinen Konsum zurückzufahren
Unser Konsumverhalten zerstört unseren Planeten. Ob Billigflüge, Onlinekäufe, Paketversand oder Fast Fashion… das Ende des 20. Jahrhunderts hat es eingeleitet und wir Kinder des 2000er-Konsumzeitalters sind es gar nicht anders gewohnt. Waren und Produkte können zu jeder Tages- und Nachtzeit gekauft werden. Wenn ich auf dem Weg zur Uni in der Bahn einen spannenden Link in der Story einer Influencerin sehe, kann ich innerhalb von Minuten auf dem Handy mit wenigen Klicks genau das Teil nachkaufen. Wahrscheinlich ist es in spätestens zwei Tagen bei mir. Über die Umweltauswirkungen und Arbeitsbedingungen wissen wir alle Bescheid.
Aber warum konsumieren wir überhaupt?
Der Soziologe Hartmut Rosa meint, wir kaufen vieles, ohne es je zu konsumieren. Oft kaufen wir uns den Zugang zu etwas Schönem, aber nutzen immer weniger davon wirklich bewusst (Rosa, 2018). Wie viele Bücher hast du bei dir rumstehen, ohne sie je gelesen zu haben? Wie viele Kleidungsstücke im Schrank, die du im letzten halben Jahr nicht anhattest?
Der Grund dafür ist, dass der Akt des Kaufens Spaß macht, im Zweifel sogar mehr Spaß als der Akt des Besitzens. Wenn wir uns etwas gönnen, schüttet unser Gehirn belohnende Neurotransmitter aus, unter anderem Dopamin (Grüsser et. Al., 2007). Der Botenstoff im Körper, der für kurzfristige Glücksgefühle sorgt… und süchtig macht. Besonders belohnend sind Shopping-Touren im Internet. Dort winkt die zweifache biologische Belohnung: Beim Kaufklick und wenn die Ware an der eigenen Tür ist.
Doch nicht nur durch unsere eigene Biologie ist Konsum besonders attraktiv für uns. Marketingexpert:innen und Werbepsycholog:innen nutzen noch ganz eigene Kniffe, um unsere Kaufkraft zu steigern. Sozialpsycholog:innen fanden heraus, dass wir das kaufen, was andere Menschen um uns herum kaufen (Chen et al., 2019). Diesen Effekt konnten wir hautnah im März 2019 miterleben, als es schwierig wurde, irgendwo eine einzelne Rolle Toilettenpapier zu bekommen. Wir springen vor allem auf Empfehlungen an. Ein Grund, warum bei nahezu jedem Artikel und jeder Dienstleistung, die wir kaufen können, Gütesiegel, Kundenrezensionen, Sterne und Co. eingearbeitet werden. Was andere Leute empfehlen, muss objektiv gut sein. Social Media treibt dieses Empfehlungsmarketing auf ganz neue Höhen. Jeder Dritte ist in den sozialen Medien schon mal auf ein Produkt oder eine Dienstleistung aufmerksam geworden, die er oder sie gekauft hat. Bei den 16-19-Jährigen sind es sogar ganze 76%! (PWC, 2018).
Unsere Widerstandsfähigkeit ist ganz besonders gefordert, wenn andere Menschen uns potenzielle Kaufobjekte wegnehmen könnten. Du kennst das bestimmt: Noch zehn andere schauen sich diesen Flug gerade an, sichere dir schnell deinen Platz! Der Fachbegriff dafür ist künstliche Verknappung und wird von allen möglichen Onlineshops liebend gerne eingesetzt, um Kund:innen zu Impulskäufen zu verleiten. Das Erschreckende daran? Diese musste bis 2021 nicht einmal der Wahrheit entsprechen, um in Deutschland rechtens zu sein (WBS Law, 2021). Warum du trotz verlockender Kaufreize überall über dein Konsumverhalten nachdenken solltest und wie du dich mit ein paar easy Kniffen einschränken kannst, zeigen wir dir jetzt!
Was macht Shoppen mit unserem Zuhause?
Du kaufst gerne und hast schon nach dem ersten Drittel dieses Artikels ein komisches Gefühl? Keine Panik, du bist nicht allein damit, gerne Geld auszugeben! Im Jahr 2021 gaben deutsche Privathaushalte rund 65,5 Milliarden für Bekleidung und Schuhe aus. Die Zahl allein ist übrigens höher als der Nachtragshaushalt, der im Dezember von der Bundesregierung in Klimaschutz umgelenkt wurde. Das kommt dir wie viel, viel Geld vor? Diese Zahl ist im Vergleich zu Vorjahreszahlen nicht mal besonders hoch. Mit der Corona Krise brach die deutsche Shoppinglaune nämlich ganz schön ein. Was hingegen boomt, ist der Onlinehandel. Deutsche gaben in 2021 durchschnittlich 2088 € pro Jahr für Onlineshopping aus (PostNord, 2021).
Nicht nur unseren Geldbeuteln tut shoppen weh, die Fast-Fashion-Branche ist auch eine der größten Bedrohungen für unsere Umwelt. Derzeit verursacht die Textilindustrie jährlich 1,2 Milliarden Tonnen CO2 – und damit mehr als internationale Flüge und Kreuzfahrten zusammen (Niinimäki et al., 2020).
Rund 10% der weltweiten Gesamtemission stammen aus der Modebranche
60% aller produzierten Kleidungsstücke werden innerhalb eines Jahres weggeworfen (Greenpeace, 2022). Eine einzige Jeans verbraucht in der Herstellung 57 randgefüllte Badewannen Wasser. Bei all diesen Faktoren haben wir noch nicht einmal über lebensbedrohenden und unmenschlichen Bedingungen für die Arbeiter:innen gesprochen, die unsere Kleidung herstellen. Diese verdienen an einem Fast-Fashion Shirt für unschlagbare 4,99€ ganze 13 Cent (Greenpeace, 2022).
Wofür das Ganze? Ursprünglich haben Fashion Brands zwei Kollektionen auf den Markt gebracht: Die Frühlings- und die Herbstkollektion. Mittlerweile bringen Moderiesen wie H&M 14-tägig neue Kollektionen in die Stores. Bis zu 12 Kollektionen pro Jahr, damit wir möglichst häufig das Gefühl haben, es gibt schon wieder neue Trends, die wir mitmachen müssen (Greenpeace, 2022). Du wirst die Konsum- und Fast-Fashion Branche natürlich nicht allein zu Fall bringen, aber wenn jeder von uns etwas bewusster kauft, wäre das ein erster Schritt in das dringend benötigte Umdenken!
Was kannst du tun, um bewusster zu konsumieren?
Werbung vermeiden
Du merkst, du springst besonders auf online Werbung an? Setze dich dieser gar nicht erst aus. Ein einfacher Schritt ist es, einen Ad-Blocker in deinem Browser zu installieren, um keine Werbung mehr angezeigt zu bekommen. Du kannst außerdem der Verwendung von Cookies widersprechen und diese direkt im Browser deaktivieren. So wird gar nicht erst gespeichert, auf welchen Shopping-Seiten du unterwegs bist und du kannst nicht wochenlang an mögliche Käufe erinnert werden.
Das Gleiche gilt übrigens auch für Instagram, YouTube und Co. Vermeide auch Werbung von Influencer:innen und andere „Produkt-Empfehlungen“. Influencer:innen verdienen an jedem getätigten Kauf mit. Rabattcodes sind nicht dafür da, um lieben Follower:innen etwas zurückzugeben, sondern um zu tracken, wie viele Käufe über eine Instagram-Story getätigt wurden. Frage dich ehrlich selbst: Willst und kannst du solchen „Empfehlungen“ vertrauen?
Weniger Konsum beats nachhaltiger Konsum
Auch wenn dein neuer Rucksack komplett aus Meeresplastik hergestellt wurde, steigerst du dennoch mit jedem Kauf die Nachfrage. Der Rucksack hinterlässt keine Leerstelle im Lager, sondern wird direkt nachgefüllt. Um einen wirklichen nachhaltigen Wandel in unserem Konsumverhalten zu erreichen, müssen wir alle viel, viel weniger kaufen. Folgende Frage kannst du dir vor jedem Kauf stellen, um bewusster zu kaufen:
- Wie oft ziehe ich das Teil an/ wie oft werde ich den Gegenstand nutzen? Kannst du dir nicht vorstellen, etwas mindestens 30x zu tragen? Schrankleichen braucht kein Mensch.
- Du brauchst echt mal frischen Wind im Kleiderschrank? Veranstalte doch mit Freunden mal eine Kleidertauschparty, auf der jeder Kleidungsstücke mitbringt, die man satthat. Tauschen macht Spaß und ist viel nachhaltiger als Wegwerfen und Neukaufen.
Leihen, statt kaufen
Du brauchst ein Outfit, um auf dem Oktoberfest mithalten zu können? Du willst Skifahren und brauchst dringend eine komplette Montur? Du brauchst dringend ein cooles Halloween Kostüm? Frage doch bei diesen besonderen Anlässen erstmal in deinem Freundeskreis nach, ob dir jemand etwas leihen kann. Vielleicht hängt ja bei deiner besten Freundin ein Dirndl im Kleiderschrank, dass eh erst zweimal getragen wurde: Hey zusammen kommt ihr näher an die 30x-Tragen-Regel!
Es machen außerdem immer öfter neue “Shop” Konzepte auf, bei denen man Kleidung leihen, statt kaufen kann. In Berlin im Mai zum Beispiel die Kleiderei. Check doch deine Nachbarschaft mal aus.
Alles kann auch später gekauft werden
Lass dich von knappen Lagerbeständen nicht verwirren! Meist kommt nach einer unschlagbaren Rabattaktion die nächste. Vermeide spontan Käufe, und schreib dir stattdessen Dinge auf einen Wunschzettel. So behältst du auch auf lange Sicht im Blick, was du wirklich brauchst, und was vielleicht nur eine Kauflaune war und sich schon erledigt hat. Kaufen kann und soll Spaß machen! Aber nur weil alles jederzeit verfügbar ist, muss das nicht heißen, dass wir es konsumieren müssen. Wenn du bewusster kaufst, wirst du bestimmt auch wieder viel mehr Freude an den wenigen Dingen haben, die du dir gönnst.
Chen, Y., Lu, Y., Wang, B., & Pan, Z. (2019).
How do product recommendations affect impulse buying? An empirical study on WeChat social commerce.
Information & Management, 56(2), 236-248.
Greenpeace (2022).
Fast Fashion, wenn Mode zu Müll verkommt.
https://konsum.greenpeace.at/fast-fashion-wenn-mode-zu-muell-verkommt/
Greenpeace (2022).
Wusste Sie, dass..
http://www.fastfashion-rjm-koeln.de/wusstensie.aspx#:~:text=Es%20werden%20bis%20zu%2012,100%20Milliarden%20Kleidungsst%C3%BCcke%20neu%20produziert.
Grüsser, S. M., Poppelreuter, S., Heinz, A., Albrecht, U., & Saß, H. (2007).
Verhaltenssucht. Der Nervenarzt, 78(9), 997-1002.
Niinimäki, K., Peters, G., Dahlbo, H., Perry, P., Rissanen, T., & Gwilt, A. (2020).
The environmental price of fast fashion. Nature Reviews Earth & Environment, 1(4), 189-200.
PostNord (2021).
Durchschnittliche Ausgaben für Online-Shopping pro Kopf in ausgewählten Ländern in Europa im Jahr 2021.
PWC (2018).
Zwischen Entertainer und Werber – Wie Influencer unser Kaufverhalten beeinflussen.
https://www.pwc.de/de/handel-und-konsumguter/pwc-zwischen-entertainer-und-werber.pdf
Rosa, H. (2018).
Resonanz als Schlüsselbegriff der Sozialtheorie.
In Resonanz (S. 9-30). Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
WBS Law (2021).
Warenverfügbarkeit in Online-Shops muss in Echtzeit angegeben werden
https://www.wbs-law.de/wettbewerbsrecht/olg-rostock-warenverfuegbarkeit-in-online-shops-muss-in-echtzeit-angegeben-werden-56866/