Digitalisierung und Bildung

Digitalisierung und Bildung

31.05.2022

10 mins

Frederick  Hermle 


Klara 
Rehm

Auf einen Blick

  • Seit Jahren ist die Digitalisierung Thema in der Bildungspolitik. 
  • Politische und bürokratische Hürden sind vor allem wegen der Kulturhoheit der Länder zahlreich. 
  • Deutschland schneidet im Ländervergleich bei Medienkompetenzen noch immer schlecht ab.
  • Problematisch ist vor allem die mangelnde Infrastruktur und fehlende Ausstattung der Schulen mit digitalen Endgeräten.
  • Verschiedene online Plattformen und Apps sind verfügbar, die Lehrer und Schüler unterstützen könnten.

“Unsere Schulen müssen nicht reformiert werden. Sie müssen völlig anders werden als bisher. Wir brauchen andere Lehrer, andere Methoden und ein ganz anderes Zusammenleben in der Schule. Mit einem Wort: Wir brauchen keine weitere Bildungsreform, wir brauchen eine Bildungsrevolution!” (Richard David Precht; Philosoph und Autor)

Schulzeit – dieses Stichwort ruft bei den meisten von uns verschiedene Erinnerungen wach. Neben jeder Menge Spaß, überzogener Pausen, nervigem Unterricht am Nachmittag oder Tagen, an denen der einzige Lichtblick der erlösende Gong war, dürften sich die meisten von uns auch an die oftmals mangelnde technische Ausstattung erinnern. Das klassische Beispiel ist wohl der in jedem Klassenzimmer zu findende Overhead-Projekt. Moderne Ausstattung, Whiteboards oder Fächer wie Robotik und Informatik sind an deutschen Schulen eher selten zu finden – von einem funktionierenden WLAN-Netzwerk, auf das auch die SchülerInnen zugreifen können, ganz zu schweigen.

Falls auch du gerade noch zur Schule gehst oder deine schulische Laufbahn vor Kurzem abgeschlossen hast, dürftest du bestens mit dieser Situation vertraut sein – Digitalisierung Fehlanzeige. Das hat auch Auswirkungen auf unser Bildungssystem: Immer wieder werden deutsche Schulen für ihre schleppende Anpassung an eine digitalisierte Welt kritisiert. Dabei wird immer deutlicher, dass ein sicherer Umgang mit Technologien eine zentrale Voraussetzung für eine erfolgreich berufliche Zukunft ist.

Des Weiteren kommen mit dem Internet und Social Media neue Faktoren hinzu, die technisches Wissen von jungen Menschen erfordern. So hat die Verbreitung von falschen Informationen im Netz (“Fake News”) in den letzten Jahren massiv zugenommen. Hier fällt es deutschen SchülerInnen zunehmend schwer, glaubwürdige Quellen zu erkennen und Inhalte im Internet kritisch zu hinterfragen, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet. Hinzu kommen mangelnde Kenntnisse darüber, wie sie sich online gut schützen können, damit sie das Internet sicher und sinnvoll nutzen.

Dabei ist das Thema Digitalisierung und Bildung keineswegs neu.  Bereits im Jahr 2016 haben die Kultusminister unserer Bundesländer ein gemeinsames Konzept für die Bewältigung der Digitalisierung in der Bildung erarbeitet. Letztes Jahr lag Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern laut einer PISA Studie zu den digitalen Kompetenzen von Schülern trotzdem weiterhin unter dem Durchschnitt. Aufgrund der Herausforderungen der Coroa-Pandemie haben die Kultusminister ihre Ziele für die Digitalisierung im Bereich Bildung letztes Jahr nochmals erweitert. Doch was genau bedeutet es eigentlich, unsere Schulen und die Bildung zu digitalisieren? Und welche Probleme gibt es bei uns in Deutschland, die Fortschritte in diesem Bereich zurückhalten? Falls du – ob als Schüler, Student oder bereits Berufstätiger – etwas mehr über die Probleme und Maßnahmen in diesem Bereich erfahren willst, dann bleib dran!

Corona und die Möglichkeiten für digitale Bildung

Was sind die Möglichkeiten, die neue Technologien für die klassische Schulbildung bietet? Auf der einen Seite steht hier das komplett digitale Online-Klassenzimmer. Dass das über den normalen Unterricht über Zoom hinausgehen muss, haben viele Lehrer und Schüler während der Pandemie erlebt. Der Lehrplan konnte nur bedingt befolgt werden und viele Lernlücken sind entstanden. Hinzu kam die große Belastung von Eltern, die das Lernen ihrer Kinder viel stärker unterstützen und beaufsichtigen mussten. Für die Kinder fehlte unter anderem auch der Kontakt zueinander, der ein wichtiger Teil der Schulbildung ist. 

Es gibt viele Plattformen und Lern-Apps, die den digitalen Unterricht erleichtern können, aber diese müssen erst in die Lehrerausbildung und die Unterrichtsgestaltung eingeplant werden. 

Eine Hybrid-Lösung wurde in Bremen geschaffen. 2021 hat der Bremer Senat erstmal alle Lehrer*innen mit iPads ausgestattet. Durch viele Fortbildungen, Workshops und online Schulungen haben sich die Lehrkräfte mit den Geräten und den Einsatzmöglichkeiten im Unterricht vertraut gemacht. Daraufhin wurde allen Schüler*innen in Bremen ein iPad zur Verfügung gestellt. Diese iPads sind mit Jugendschutzfunktionen gesichert, dass heißt bestimmte Webseiten sind gesperrt. Außerdem gibt es nur einen “Student App Store”, auf dem Bildungsprogramme heruntergeladen werden. Die Einrichtung und Nutzung wurde durch die Lehrer*innen erklärt und die Geräte bilden nun einen festen Bestandteil des Unterrichts in Bremen. In den meisten Bundesländern sind solche Initiativen aber weiterhin fernab der Realität. 

Auch wenn die große Mehrheit der Schüler sich nach der Rückkehr in den Unterricht vor Ort gesehnt haben, ist es trotzdem sinnvoll, dass digitale Kompetenzen Teil des Schulalltags werden. Im europäischen Vergleich wird deutlich, dass das gut funktionieren kann. Estland ist ein Vorreiter in Sachen digitalisierte Bildung. Bereits in der Grundschule können Kinder hier Programmieren lernen, in der weiterführenden Schule auch Robotik. Computer, Tablets und auch Handys werden als Hilfsmittel in den Unterricht eingebaut. Zugriff auf Schulbücher ist digital auf einer zentralen Plattform möglich. Hilfreich ist auch, dass Internetzugang ein Grundrecht in Estland ist, wodurch Ungleichheiten verringert werden. Das ist besonders wichtig wenn man bedenkt, dass Medienkompetenzen in allen Berufsfeldern immer stärker abgefragt werden. Der Einsatz digitaler Technologien in den meisten Jobs ist längst nicht mehr wegzudenken. Ein anderer Vorteil von Schulen in Estland ist außerdem, dass die Administration dort bereits seit mehr als 20 Jahren größtenteils digitalisiert ist. Dadurch werden viele Prozesse vereinfacht. Das spart Zeit und Aufwand, die stattdessen in die Unterrichtsvorbereitung oder in Weiterbildungen investiert werden kann. 

Kulturhoheit und Bürokratie: die strukturellen Probleme in Deutschland

In Deutschland fällt die Bildung unter die “Kulturhoheit” der einzelnen Bundesländer. Vor allem in Hinblick auf die Vergleichbarkeit der jeweiligen Bildungsabschlüsse, die nicht einheitlich erstellt werden, sorgt das immer wieder für Streit.  Auch beim Thema Digitalisierung stellt sich die Frage ob Bildung nicht besser auf Bundesebene geregelt werden sollte. Die Kultusministerkonferenz der Länder nennt insbesondere die Weiterbildung von Lehrern in neuen Lehrtechnologien, die Anpassung und Überarbeitung von Lehrplänen, digitale Verwaltungssysteme für Schulen und die bessere Ausstattung der Schulen mit entsprechenden Geräten werden als wichtige Ziele genannt. Vergessen darf man auch nicht die Rolle des Lehramtsstudiums. Nur wenn angehende Lehrer*innen den Umgang mit diesen Technologien als zentralen Bestandteil ihrer eigenen Ausbildung kennenlernen, können sie auch entsprechende Kompetenzen vermitteln. Viele neue Impulse für die Umsetzung dieser Ziele werden jedoch tatsächlich in Berlin von der Bundesregierung gesetzt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat beispielsweise eine neue digitale Bildungsplattform bundesweit zur Verfügung gestellt. 

Ein weiteres Problem ist die altbekannte deutsche Bürokratie: Mit dem “DigitalPakt Schule” stellt der Bund den Ländern seit 2019 rund 5 Milliarden Euro für die Anschaffung von Geräten, Infrastrukturen (beispielsweise W-LAN) und Weiterbildungen von Lehrkräften zur Verfügung. Um diese finanziellen Fördermittel zu bekommen, muss sich jede Schule einzeln bewerben und ein Bildungskonzept vorlegen. Das heißt, sie muss erklären, wie sie welche Ausstattungen im Unterricht benutzen wollen. Solche Geräte können zum Beispiel Smartboards, Whiteboards, Computer und Tablets sein. Erst dann können Investitionen getätigt werden. Es wird jedoch besonder betont, dass digitale Bildungsinfrastrukturen bewährte Lehr- und Lernmittel nicht ersetzen sollen, sondern unterstützend wirken. Wie genau das aussehen soll, bleibt offen. Ebenso die Frage, wie zukunftsorientiert deutsche Lehrpläne eigentlich sind- sprich, ob Schüler wirklich mit den Kompetenzen und dem Wissen ausgestattet werden, die sie für das Leben im 21. Jahrhundert brauchen. 

Skeptiker der digitalisierten Bildung sorgen sich vor allem um den Datenschutz und die Bildschirmzeit der Kinder. Schüler verbringen jetzt bereits jetzt 35 Wochenstunden am Bildschirm und nutzen das Internet aktiv als Lernhilfe – jedoch ohne von der Schule entsprechend unterstützt zu werden.

 

Was macht eigentlich die EU?

Neben dem Bund gibt es auch auf EU-Ebene viele Möglichkeiten, neue Technologien in der Lehrerausbildung und in der Schule zu nutzen. Ein solches Projekt ist das “e-Twinning”. Diese Plattform ermutigt Lehrer aus allen EU-Mitgliedsstaaten, miteinander Kontakt aufzunehmen und mit Hilfe von Computer und co. gemeinsame Projekte durchzuführen. Schulpartnerschaften zwischen EU-Ländern werden dadurch gestärkt und Erfahrungen mit verschiedenen Bildungskonzepten können einfach geteilt werden. 

Eine weitere Initiative ist der “Innovative Teaching Award”. Letztes Jahr gegründet, soll er Schulen auszeichnen, die  Das Bonner Helmholtz-Gymnasium gewann diesen Preis als Auszeichnung für jahrelange Arbeit an digitalen Lernformen und für internationale Zusammenarbeit in Fragen der Bildung und Berufswelt. 

Wie geht es weiter?

Die neue Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, die Länder bei der Digitalisierung weiter zu unterstützen. Hierzu soll der DigitalPakt 2.0  dienen. Mit ihm sollen Investitionen schneller und einfacher umgesetzt werden und neue Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten in Schule und Weiterbildung geschaffen werden. 

“ Gemeinsam mit den Ländern werden wir die Einrichtung, den Betrieb und die Vernetzung von Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten in Schule und Weiterbildung fördern und eine zentrale Anlaufstelle für das Lernen und Lehren in der digitalen Welt schaffen. Wir werden gemeinsam mit den Ländern digitale Programmstrukturen und Plattformen für Open Educational Ressources (OER), die Entwicklung intelligenter, auch lizenzfreier Lehr- und Lernsoftware sowie die Erstellung von Positivlisten datenschutzkonformer, digitaler Lehr- und Lernmittel unterstützen.” (S. 76)

Auch außerhalb der Politik gibt es viele Initiativen, die die Integration von digitalen Technologien in deutschen Schulen unterstützen. Ein Beispiel ist das “Forum Bildung Digital”. Mit seinen Projekten zeigt es vielfältige Anwendungen für digitale Technologien für Lehrkräfte, Schüler*innen und die Administration der Schule. Das Forum ist eine Plattform, über die sich Entscheidungsträger in der Politik mit Fachkräften im Bildungsbereich und Entwicklern neuer technologiebasierten Lösungen austauschen können. Sie versuchen alle Akteure aktiv am Prozess der Digitalisierung zu beteiligen, damit passende Formate für die verschiedenen Anforderungen gefunden werden. Eine Grundschule benötigt etwa ganz andere Technologien als ein Oberstufengymnasium. 

Wir sehen also, dass es in Deutschland noch viel zu tun gibt, um die Digitalisierung der Bildung voranzutreiben. Unsere Schulbildung kann zukunftsorientiert sein, muss dafür aber anpassungsfähiger werden. Die Hürden der Bürokratie und schleppende politische Prozesse sind Hindernisse, die es zu vereinfachen gilt. Dass das klappen kann, können die Deutschen immer wieder bei ihren europäischen Nachbarn sehen und hoffentlich lernen, wie digitalisiertes Lernen funktionieren kann. Die Pandemie hat innovative Lösungen gefördert. Ein Beispiel hierfür ist etwa “Edu-Cloud”, eine Plattform für digitale Bildungsangebote. Unter anderem gibt es verschiedene Programme, Lern- und Kommunikationsplattformen, und Anwendungen, die von Schülern aller Klassenstufen ebenso wie Lehrern und Eltern eingesetzt werden können. Derzeit stellt Edu-Cloud auch gezielt für ukrainische und mehrsprachige Angebote für Flüchtlinge zur Verfügung. Solche Projekte führen uns vor Augen, was an digitaler Bildung möglich ist, während viele Schulen noch darum kämpfen, ihre Schüler mit Computern oder Tablets auszustatten. 


https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2018/Strategie_Bildung_in_der_digitalen_Welt_idF._vom_07.12.2017.pdf

https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/pisa-sonderauswertung-schulen-bereiten-jugendliche-unzureichend-auf-die-risiken-des-internets-vor/27155586.html

https://www.forumbd.de/verein/

https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/nationale-bildungsplattform-1898680

https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/kurzmeldungen/de/netzwerk-bildung-digital.html

https://innovative-teaching-award.ec.europa.eu/european-innovative-teaching-award_en

https://www.researchgate.net/profile/Michael-Sailer-2/publication/350121878_Digitale_Bildung_an_bayerischen_Schulen_vor_und_wahrend_der_Corona-Pandemie/links/605223aa458515e834516f8f/Digitale-Bildung-an-bayerischen-Schulen-vor-und-waehrend-der-Corona-Pandemie.pdf

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8906915/pdf/35114_2022_Article_777.pdf/?tool=EBI

https://www.netzwerk-bildung-digital.de

https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/homeschooling-ohne-probleme-estland-ist-beim-digitalunterricht-eine-klasse-fuer-sich/26847140.html

https://www.arbeitswelt-portal.de/themen/taetigkeiten-und-qualifizierung/artikel/megatrends-wie-veraendert-sich-die-nachfrage-nach-bestimmten-berufen

https://edu-cloud.org/

https://digitalebildungfueralle.org/

https://hhg-bonn.de/allgemein/tatsaechlich-das-hhg-gewinnt-den-european-innovative-teaching-award

https://www.sueddeutsche.de/politik/pisa-studie-lesen-fakten-1.5284164 

 
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