EU Armee? – Die Zukunft der EU-Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit und Verteidigung 

16.03.2022

5min

Auf einen Blick

  • Eine EU-Armee hätte eine Truppenstärke von ungefähr 1,5 Millionen Soldat:innen
  • Durch eine solche Armee wäre die EU in der Lage, sich aus der Abhängigkeit der USA zu lösen und künftig selbst für die Verteidigung ihrer Interessen und Sicherheit einzutreten
  • Auch könnte die EU-Armee die europäische Identität fördern und Kosten einsparen
  • Die Voraussetzung für die Schaffung ist, dass die EU-Staaten ihre Zuständigkeit auf dem Gebiet Sicherheit und Verteidigung an die EU abgeben – dafür sind viele Staaten jedoch nicht bereit
  • Des Weiteren könnte eine EU-Armee die Schlagkraft der NATO vermindern
  • Alle Parteien im Bundestag bis auf Afd und DIE LINKE stehen der Schaffung einer EU-Armee grundsätzlich positiv gegenüber

Vielleicht erinnerst du dich noch an das Jahr 2012: Damals erhielt die Europäische Union (EU) den Friedensnobelpreis. Als Begründung für die Verleihung nannte das Nobelkomitee in Oslo die Förderung von Frieden und Versöhnung sowie Demokratie und Menschenrechten in Europa. So hat die EU einen wichtigen Beitrag zur Versöhnung zwischen den europäischen Völkern nach dem Zweiten Weltkrieg geleistet. Daher sehen auch die Bürger:innen ihrer Mitgliedstaaten die EU als Garant für Sicherheit und Frieden. Hier in Deutschland sprachen sich im Rahmen der Eurobarometer-Umfrage im März 2018 68% der Befragten für eine stärkere Tätigkeit der EU im Bereich Verteidigung aus. Insbesondere für die junge Generation spielt das Thema Sicherheit und Verteidigung eine große Rolle. So unterstützt eine Mehrheit von 60% der Befragten Deutschen im Alter von 16 bis 29 Jahren eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU-Mitgliedstaaten. Mit Blick auf aktuelle weltpolitische Entwicklungen, wie z.B. dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, stellt sich die EU jedoch die Frage, wie sie ihre Sicherheit auch in Zukunft gewährleisten kann. Um dieses Ziel zu erreichen, wird oft über die Gründung einer EU-Armee diskutiert. Im Jahr 2017 unterstützten immerhin 55% der Deutschen dieses Konzept. Auch die Ampel-Koalition möchte ein gemeinsames zivil-militärisches Hauptquartier schaffen, um die Zusammenarbeit nationaler Armee zu stärken. Doch wie würde eine EU-Armee eigentlich aussehen? Welche Vor- und Nachteile sind damit verbunden – und warum gibt es sie bis jetzt (noch) nicht? Falls du dir diese Fragen stellst, ist dieser Artikel genau der richtige für dich! Am Ende kannst du dir (d)eine eigene Meinung zu diesem Thema bilden.

Sicherheit und Verteidigung - Der Stand der Dinge

Aktuell besitzt jedes der 27 EU-Mitgliedstaaten eigene Streitkräfte und verfügt über eine eigene Armee. Bei uns in Deutschland ist das die Bundeswehr. Im letzten Jahr haben wir 46,93 Milliarden Euro für die Bundeswehr ausgegeben. Künftig soll sie über ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für Investitionen und Rüstungsvorhaben aus dem Bundeshaushalt erhalten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte am Sonntag zudem an, Deutschland “werde von nun an – Jahr für Jahr – mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in seine Verteidigung investieren.” 

Momentan besitzt unsere Bundeswehr eine Truppenstärke von ungefähr 183.758 Soldat:innen.
Im Vergleich zu den USA, die eine Armee mit 1,3 Millionen Soldat:innen unterhalten, klingt das auf den ersten Blick nicht sehr beeindruckend. Würde man jedoch die nationalen Streitkräfte aller EU-Mitgliedstaaten zusammenzählen, so käme man auf ungefähr 1,5 Millionen Soldat:innen. Bei einer EU-Armee wären diese Streitkräfte einem europäische Verteidigungsminster unterstellt.

Zudem arbeiten die EU und ihre Mitgliedstaaten in vielen Politikbereichen eng zusammen. So auch in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP). Zu ihren Zielen gehört die Wahrung von Interessen, Werten und Sicherheit der EU, aber auch die Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Im Jahr 2009 gingen die EU-Staaten sogar noch einen Schritt weiter und einigten sich im Vertrag von Lissabon auf eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP), um auf internationale Krisen nicht nur diplomatisch sondern auch militärisch reagieren zu können. Zu den Aufgaben der GSVP zählen humanitäre Rettungseinsätze, friedenserhaltende Operationen, Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung sowie die Bekämpfung des Terrorismus – die sogenannten Petersberger Aufgaben. Zur Erfüllung dieser Aufgaben leisten die Mitgliedstaaten einen aktiven Beitrag: Sie stellen der EU militärische Kapazitäten, Polizist:innen oder Soldat:innen zur Verfügung. Aktuell werden im Rahmen der GSVP 17 zivile und militärische Operationen weltweit durchgeführt.
Da die EU keine eigenen Soldat:innen hat, sondern auf die Truppen ihrer Mitgliedstaaten zurückgreift, entscheiden diese auch über die durchzuführenden Missionen und Einsätze. Ein Beispiel ist die EU-Mission im ostafrikanischen Somalia. Hier bilden Soldat:innen aus EU-Staaten seit 2010 somalische Streitkräfte aus, um zur Stabilisierung des Landes und zur Bekämpfung islamistischer Terrorgruppen beizutragen. 

Sind GASP und GSVP quasi die EU-Armee?

Nein, denn das Merkmal von GASP und GSVP ist ihr zwischenstaatlicher (=intergouvernementaler) Charakter. Das heißt, die Staaten und ihre Regierungen geben ihre Zuständigkeiten und Verantwortungen nicht an die EU ab, sondern entscheiden nach wie vor selbst – sie bestimmen und kontrollieren den Kurs. Außerdem finden alle Aktivitäten der GASP und GSVP parallel neben den Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitiken der einzelnen EU-Mitgliedstaaten statt. Entscheidungen in der GASP und GSVP werden durch den Europäischen Rat (besteht aus den Staats- und Regierungschef:innen der 27 EU-Mitgliedstaaten) und den Rat für Auswärtige Angelegenheiten (Außenminister:innen aller 27 Mitgliedstaaten) getroffen. Alle Beschlüsse müssen einstimmig – also mit Zustimmung aller Mitgliedstaaten – getroffen werden. Wie du dir vorstellen kannst, herrscht in Fragen der Außen-, Sicherheits-, und Verteidigungspolitik viel Uneinigkeit zwischen den 27 Mitgliedstaaten. Deutlich wird das dann, wenn bestimmte Staaten von ihrem Vetorecht Gebrauch machen, um Sanktionen und gemeinsame Erklärungen zu blockieren. In der Frage, wie diese Uneinigkeit überwunden werden kann, lautet die Antwort von Politiker:innen oft: durch eine EU-Armee. 

Für die Sicherheit in Europa gibt es auch noch die NATO. Sie ist ein Militärbündnis, das während des Kalten Kriegs gegründet wurde. Aktuell hat die NATO 30 Mitgliedstaaten – 21 davon sind EU-Staaten. Du siehst also, dass Strategien und Entscheidungen der NATO auch stark von europäischen Interessen beeinflusst werden. Das Merkmal der NATO ist der sogenannte Bündnisfall. Wird ein NATO-Mitglied angegriffen, sieht Artikel 5 des NATO-Vertrags nämlich vor, dass dieser militärische Angriff als ein Angriff gegen alle NATO-Mitglieder angesehen wird. Damit verpflichten sich die anderen Staaten dazu, militärischen Beistand zu leisten. Aber auch in der NATO entscheiden die Staaten letztlich über ihre nationalen Armeen und die Abhängigkeit von den USA ist groß.

Die EU-Armee - Vergangenheit und Gegenwart

Bei der EU-Armee handelt es sich zunächst einmal um keine neue Idee. Bereits in den 1950er Jahren wurde im Zuge des sogenannten „Pleven-Plans“, über eine gemeinsame europäische Armee diskutiert. Damals stand die EU als „Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl“ (EGKS) noch am Anfang ihrer Entwicklung. Die Hauptidee bestand kurz gesagt darin, eine gemeinsame europäische Armee unter dem Kommando eines europäischen Verteidigungsministers zu schaffen. Der französische Premierminister Réne Pleven schlug dabei eine Truppenstärke von 100.000 Soldat:innen vor. Jeder Staat sollte eine bestimmte Anzahl von Truppen zur Verfügung stellen, die dann über einen gemeinsamen Haushalt verwaltet werden sollten. Die Umsetzung des Vorhabens scheiterte jedoch am Widerstand der USA, Deutschlands und Großbritanniens. 

Seitdem hat sich vieles verändert: Wie du aus den oberen Kapiteln bereits erfahren hast, arbeiten die Mitgliedstaaten durch die GASP und die GSVP im Bereich Sicherheit und Verteidigung eng zusammen. Zudem wurden im Jahr 2005 EU-Battlegroups geschaffen. Dabei handelt es sich um gemeinsame Kampftruppen, die eine schnelle militärische Krisenreaktion der EU gewährleisten sollen. Bestandteil dieser Truppen sind ca. 1500 Soldat:innen, die mindestens 30 Tage in Krisengebiete verlegt werden können. Sie werden von neun Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, gestellt und ausgerüstet.
Zum Einsatz sind die EU-Battlegroups bis jetzt aber noch nicht gekommen. Ergänzend hierzu startete im Jahr 2017 mit der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ (PESCO) eine weiteres wichtiges Forum zur Zusammenarbeit. Im Zentrum steht die Kooperation bei Rüstungsprojekten und bei der militärischen Forschung. Wichtig hierbei ist, dass sich die teilnehmenden EU-Staaten rechtlich bindend auf die Zusammenarbeit geeinigt haben. Mittlerweile sind 25 der 27 EU-Mitgliedstaaten Teil der Initiative. Lediglich Malta und Dänemark entschieden sich aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken gegen eine Teilnahme.

Trotz all dieser Fortschritte auf dem Gebiet der Sicherheit und Verteidigung wird die Idee einer EU-Armee, wie sie der „Pleven-Plan“ vorsah, immer wieder aufgegriffen. So fordert der französische Präsident Emmanuel Macron seit langem „eine wahre europäische Armee“, mit der sich die EU in Zukunft gemeinschaftlich verteidigen könne.
Auch Angela Merkel warb in der Vergangenheit öffentlich für dieses Konzept. Daran anschließend möchte die neue Ampel-Koalition „gemeinsame Kommandostrukturen und ein gemeinsames zivil-militärisches Hauptquartier schaffen.” Wir haben uns bereits auf eine gemeinsame Währung und freie Grenzen innerhalb der EU geeinigt – warum sollten wir uns auch auf eine gemeinsame Armee verständigen?

Die Vorteile auf einen Blick

Ein oft genanntes Argument für die Notwendigkeit der EU-Armee ist, dass wir  in Europa für die Verteidigung unserer Interessen sehr von den USA und der NATO abhängig sind. Vielleicht erinnerst du dich noch an die dramatischen Bilder vom Truppenabzug in Afghanistan – ohne die USA lief dort gar nichts. Gleichzeitig hat die EU jedoch auch ihre eigenen Sicherheitsinteressen und Ansichten, die nicht immer mit denen der USA übereinstimmen. Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission, betont: „Europas Bürger:innen erwarten zurecht, dass auch Europa selbst wirksam Schutz bieten kann.” Ein Hauptargument ist daher, dass die EU durch eine solche Armee künftig selbst verantwortlich für die Verteidigung ihrer Interessen sein könnte.

Neben der Selbstständigkeit im Bereich Sicherheit und Verteidigung spielt die Annahme, dass eine EU-Armee zu mehr Zusammenhalt innerhalb der EU führen könnte, eine große Rolle. Eine gemeinsame Armee würde die Menschen in Europa stärker verbinden. Dadurch werde die oftmals verloren geglaubte europäische Identität gestärkt. Die Soldat:innen und Bürger:innen wären also gleichermaßen Teil eines gemeinsamen europäischen Projekts. Somit wäre ein Krieg innerhalb der EU endgültig ausgeschlossen. Diese Stärkung der europäischen Identität führt im Umkehrschluss zu einer EU-Außenpolitik, die auf gemeinsame,klare Ziele ausgerichtet ist.  Außerdem ließe sich mit einer EU-Armee Kosten sparen. Denn eine gemeinsame Armee ist günstiger als 27 einzelne, nationale Armeen.

Du siehst also, dass einige Gründe für eine EU-Armee sprechen. Doch warum gibt es sie dann nicht schon längst?

Darum gibt es (noch) keine EU-Armee – Der Realitätscheck

Ganz so einfach, wie im letzten Kapitel dargestellt, sieht es dann doch nicht aus. Die Schaffung einer gemeinsamen EU-Armee ist kompliziert. So bestehen die einzelnen EU-Staaten darauf, auch weiterhin ihre eigenen außen- und sicherheitspolitischen Prioritäten verfolgen und umsetzen zu können. Viele Staaten sind also nicht bereit, Teile ihrer nationalen Zuständigkeiten auf dem Gebiet der Sicherheit und Verteidigung an die EU zu überschreiben.

Außerdem setzt eine gemeinsame EU-Armee voraus, dass man sich einig ist, wofür sie eingesetzt werden soll. In welchen Krisen soll sie eingesetzt werden und welche Ziele werden damit verfolgt? Die einzelnen EU-Staaten haben aber unterschiedliche Sicherheitsinteressen und Bedrohungswahrnehmungen. So ist für die östlichen EU-Mitglieder, wie zum Beispiel Polen, das Verhältnis zu Russland wichtig. Dahingegen liegt der Fokus südeuropäischer Länder eher auf dem Mittelmeerraum und Afrika. Ebenso gibt es neutrale Staaten, die zwar Mitglied der EU, aber nicht der NATO sind – beispielsweise Österreich, Schweden oder Finnland. Sie stehen dem Einsatz militärischer Gewalt eher kritisch gegenüber. Größere Staaten, wie Frankreich und Deutschland, möchten die militärischen Fähigkeiten der EU jedoch ausbauen.

Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass mit der NATO bereits eine Militärbündnis besteht, das die Sicherheit in Europa garantieren soll. Wie du bereits gesehen hast, sind auch viele der EU-Staaten Mitglied in der NATO. Eine EU-Armee wäre somit völlig unnötig, da die NATO dadurch an Schlagkraft verlieren würde. Des Weiteren sind mit der EU-Armee auch Kosten verbunden. So müssten eine einheitliche Verwaltungsstruktur und gemeinsame Waffensysteme geschaffen werden. Das kostet natürlich viel Geld – und es ist (noch) nicht klar, wer letztlich die Kosten dafür übernimmt.


Das Konzept der EU-Armee weist auch noch einige Unklarheiten auf. Es gibt oft mehr Fragen als Antworten. So ist unklar, wer über den Einsatz einer solchen Armee entscheidet. Etwa die nationalen Parlamente der Staaten oder doch EU-Organe? Wer trägt eigentlich die finanziellen Kosten? Und welche Aufgaben erfüllt eine EU-Armee? Das alles sind Fragen, die noch weiter geklärt werden müssen. Doch wie ist deine Meinung: Befürwortest du die Gründung einer EU-Armee?

Die FDP ist für eine Europäische Armee: „Wir Freie Demokraten wollen den Aufbau einer europäischen Armee unter gemeinsamen Oberbefehl und unter parlamentarischer Kontrolle.“ (S. 63)

Auch die CDU möchte gemeinsame europäische Streitkräfte aufstellen und strebt genauso wie die FDP langfristig die Einrichtung einer „Europäische Verteidigungsunion“ (S. 19) an.

Die SPD ist auch für eine Europäische Armee: „Unser Ziel bleibt eine europäische Armee als Teil der Friedensmacht Europa.“ (S. 59)

Die Grünen sprechen von der Einrichtung einer „EU-Sicherheitsunion“ (S. 134) durch verstärkte Zusammenarbeit der Streitkräfte innerhalb Europas und einem Ausbau von EU-Einheiten. 

DIE LINKE möchte eine Außenpolitik auf EU-Ebene vorantreiben, die „von friedlicher Kooperation geprägt ist“ (S. 120). Sie lehnt eine gemeinsame Armee ab: „Der Ausbau einer »Militärunion«, die Schaffung einer zusätzlichen europäischen Armee und Rüstungsexporte, führen aber nicht zu mehr Sicherheit für die Menschen.“ (S. 123)

Die AfD ist gegen die Umsetzung von europäischen Projekten im Rahmen einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Sie befürwortet aber eine bessere Abstimmung mit den europäischen Partnerländern. (S. 34)

Quelle: Wahlprogramme zur Bundestagswahl 2021

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