Die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte – Das Versöhnungsabkommen mit Namibia

10.02.2022

5min

Levy O. Röpcke

Auf einen Blick

  • Deutsche Kolonialtruppen haben Anfang des 20. Jahrhundert einen Genozid an den namibischen Volksgruppen Herero und Nama
  • Deutschland und Namibia sind nach über sechs Jahren Verhandlungen im letzten Jahr zu einer Einigung gekommen, die in einem Versöhnungsabkommen festgehalten wurden – unterschrieben wurde es jedoch noch nicht.
  • Die Herero und Nama fordern seit vielen Jahren eine Einbeziehung ihrer Vertreter:innen an den Gesprächen um eine Versöhnung und stellen einen Anspruch auf Reparation.
  • Kritiker:innen bezeichnen das Abkommen als unzureichend und fordern Neuverhandlungen mit stärkerer Beteiligung von Opferorganisationen.
  • Die deutsche Bundesregierung betont in einer Pressekonferenz, dass sie bereit für weitere Gespräche sind, aber die namibischen Regierung zu entscheiden hat, wie es weitergeht.
„Namibia bleibt für uns eine unverzichtbare Aufgabe, die aus unserer historischen und moralischen Verantwortung erwächst. Das Versöhnungsabkommen mit Namibia kann der Auftakt zu einem gemeinsamen Prozess der Aufarbeitung sein"

– so heißt es im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung. Weiter hält das Dokument fest, dass man “koloniale Kontinuitäten überwinden [und sich] in Partnerschaft auf Augenhöhe begegnen” will.

Namibia nimmt damit eine besondere Rolle in der deutschen Außenpolitik ein: Es ist eines der Länder, die im späten 19. Jahrhundert bis ins frühen 20. Jahrhundert hinein zu den deutschen Kolonien gehörte. Der südafrikanische Staat hat erst am 21. März 1990 seine Unabhängigkeit erlangt. 25 Jahre später wurde Namibia die erste ehemalige Kolonie, mit der die deutsche Bundesregierung Versöhnungsgespräche aufgenommen hat.

Der Beginn der Versöhnungsgespräche

Der Dialog zwischen der ehemaligen Kolonialmacht (Deutschland) und Namibia begann im Jahr 2015, nachdem Vertreter:innen der Volksgruppen der Herero und Nama in Namibia zum wiederholten Mal Reparationen forderten. Mit Reparationen sind Geldzahlungen gemeint, die laut Völkerrecht nach dem Krieg von dem Verlierer an die Sieger gezahlt werden müssen. Damals reiste eine Gruppe der Herero mit einer Petition zum Bundespräsidenten, was dazu führte, dass in der deutschen Öffentlichkeit zum ersten Mal in diesem Kontext der Begriff ,Völkermord’ fiel. 

Den namibischen Volksgruppen ging es damals nicht nur um die Geldzahlungen, sondern insbesondere auch um die Anerkennung des Genozids und die Einbeziehung der Opferorganisation – also den offiziellen Vertreter:innen der indigenen namibischen Völker, die der deutschen Kolonialherrschaft zum Opfer gefallen sind –  in die Gespräche. Schauen wir uns eine der Forderungen mal etwas genauer an:

Die Anerkennung des Genozids

Der Genozid oder auch Völkermord gilt als das schwerste Verbrechen im Völkerstrafrecht und unterliegt nicht der Verjähung. Es wird durch die Absicht gekennzeichnet, “eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören”. Mit der Anerkennung eines Genozids werden Forderungen nach Reparationszahlung in Verhandlungen deutlich schlagkräftiger.

Der Völkermord in Namibia bezieht sich auf einen bestimmten Zeitraum in der Geschichte des Landes – zwischen 1904 und 1908. Das war die Zeit, in der die Deutschen einen Vernichtungskrieg gegen die Bevölkerungsgruppen der Herero und Nama führten. Im Zeitraum von vier Jahren ermordeten die deutschen Kolonialtruppen unter dem Befehl von Lothar von Trotha schätzungsweise bis zu 100.000 Menschen. Es gilt als der erste Genozid des 20. Jahrhunderts und ist bekanntermaßen nicht der letzte, den die Deutschen zu verantworten haben.

Zuerst hatte der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert Mitte 2015 die Massaker als Völkermord bezeichnet, woraufhin auch das Auswärtige Amt die Ereignisse als “Kriegsverbrechen und Völkermord” einordnete. Und schlussendlich, nach einer parlamentarischen Anfrage der Linksfraktion, erkannte die Bundesregierung den Genozid am 7. Juli 2016 erstmals in einem offiziellen
Dokument an.

Das Versöhnungsabkommen zwischen Deutschland und Namibia

Die Verhandlungen zwischen den beiden Staaten zur Aufarbeitung der deutschen Kolonialverbrechen starteten wie gesagt im Jahr 2015. Ruprecht Polenz (CDU), langjähriger Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, repräsentierte Deutschland während der Gespräche. Auf der anderen Seite des Tisches saß der frühere Diplomat Zedekia Ngavirue als Repräsentant von Namibia. Am Dialog waren auch andere beratende Gremien beteiligt. Obwohl diese beratende Stellung offiziell auch den Nachkommen der Opfer offenstand, waren diese laut eigenen Angaben selten an den Gesprächen beteiligt. Nach Angaben der bpb könnte ein Grund dafür sein, dass die namibische Regierung diese Vertreter:innen tatsächlich selbst bestimmte. Demnach lehnten manche Volksvertreter:innen die Verhandlungen ab und wiederum andere fühlten sich zurückgestoßen oder ignoriert.

2021, nach 6 Jahren Verhandlungen, einigten sich die Repräsentanten der beiden Länder letztendlich auf eine Vereinbarung, laut der Deutschland die Kolonialverbrechen am Anfang des 20. Jahrhunderts als Völkermord anerkennt. Darüber hinaus verpflichtete sich die damalige Bundesregierung sich zu einer Zahlung von 1,1 Milliarden Euro über den Zeitraum von 30 Jahren zum Wiederaufbau und zur Entwicklung in Namibia. Entscheidend dabei ist, dass in dem Abkommen der Völkermord zwar historisch anerkennt wird, jedoch nicht völkerrechtlich – weshalb der Rechtsbegriff ,Reparationen’ darin nicht verwendet wird. 

Manche vermuten, dass Deutschland die Zahlungen von Reparationen weiterhin ablehnt, da verhindern werden soll, dass weitere Reparationsansprüche von anderen ehemaligen Kolonien gestellt werden. Andere sind der Meinung, dass die Bundesregierung befürchtet, man könne eine Welle an Reparationsforderungen an NATO-Partnerstaaten auslösen.

Wie steht es um die namibischen Volksgruppen Herero und Nama heute?

Die Herero und Nama sind heutzutage kleine Minderheiten in Namibia. Vor der deutschen Kolonialherrschaft stellten die beiden Volksgruppen etwa die Hälfte der Gesamtbevölkerung des Gebiets dar. Damit steht außer Frage, dass der Völkermord die Existenz der Gemeinschaft bis heute betrifft. Dies wird auch in den landwirtschaftlichen Strukturen vor Ort deutlich: 70% der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen des Landes befindet sich in den Händen von weißen Siedler:innen – viele deutscher Abstammung. Die Herero und Nama hingege sind bis heute arm und leben in Reservaten.

Der deutsche Historiker und Genozidforscher Jürgen Zimmerer machte die historische Verantwortung Deutschlands auch im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie deutlich. Mehrere Repräsentant:inne der Herero und Nama sind im letzten Jahr an einer Corona-Infektion gestorben, so auch der Verhandlungsführer Zedekia Ngavirue und ein wichtiger Kritiker des Abkommens namens Vekuii Rukoro. Das Land sei unvorbereitet und das Gesundheitssystem unzureichend ausgebaut. Hier forderte Zimmerer ein “schnelles und eindeutiges Handeln der Bundesregierung”, wie etwa durch die Bereitstellung von Impfstoff.

Kritik am deutsch-namibischen Abkommen

Kritik wurde in den Monaten nach der Einigung sowohl auf der deutschen als auch auf der namibischen Seite laut. Da das Abkommen formell noch nicht unterzeichnet wurde, fordern viele Kritiker:innen jetzt Neuverhandlungen.

Als “Reinfall” bezeichnete Mutjinde Katjiua von der namibischen Herero-Vereinigung Ovaherero Traditional Authority (OTA) das Abkommen. Er verlangt einen Neustart der Verhandlungen und forderte direkte Reparationszahlungen an die Nachfahren der Opfer. 

Der berliner Herero-Aktivist Israel Kaunatjike sagte kürzlich während einer Online-Konferenz: “Wir werden dieses Abkommen niemals akzeptieren, bis wir Teil (des Verhandlungsprozesses) werden”.

Der Herero-Aktivist Kaunatjike und die Nama-Aktivistin Sima Luipert reichten eine
Petition an die neue Bundesaußenministerin Annalena Baerbock ein. In der sie den Umgang Deutschlands mit seiner Kolonialgeschichte als völlig unzureichend bezeichnen: „Deutschland brüstet sich mit seiner selbstkritischen Erinnerungskultur, insbesondere was das Gedenken an den Holocaust angeht. Der deutsche Kolonialismus wird aber – trotz vieler Bekenntnisse – zu oft unter den Tisch gekehrt“.

Der deutsche Historiker und Genozidforscher Jürgen Zimmerer machte die historische Verantwortung Deutschlands auch im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie deutlich. Mehrere Repräsentant:inne der Herero und Nama sind im letzten Jahr an einer Corona-Infektion gestorben, so auch der Verhandlungsführer Zedekia Ngavirue und ein wichtiger Kritiker des Abkommens namens Vekuii Rukoro. Das Land sei unvorbereitet und das Gesundheitssystem unzureichend ausgebaut. Hier forderte Zimmerer ein “schnelles und eindeutiges Handeln der Bundesregierung”, wie etwa durch die Bereitstellung von Impfstoff.

Neue Bundesregierung – neues Abkommen?

Wenn man dem Koalitionsvertrag der neuen Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP trauen mag, dann klingt es so, als würde man den Vertreter:innen der Opferorganisationen Gehör schenken und ihnen auf Augenhöhe begegnen wollen.

In einer Erklärung des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 26.01.2022 gab der Sprecher Christofer Burger den eingangs genannten Absatz zu Namibia aus dem Koalitionsvertrag wieder. Er erklärte, dass die neue Bundesregierung “keinesfalls hinter das zurückfallen wird, was die vergangene Bundesregierung bereits angeboten hat”.

Er betonte aber auch, dass die Entscheidung darüber, wie es mit dem Abkommen weitergeht, auf der namibischen Seite liegt – “Verhandlungspartner auf Augenhöhe kann […] nur die namibische Regierung sein”. Außerdem sollen fünf Vertreter:innen der Nachfahren der Opfer an sämtlichen Verhandlungsrunden beteiligt gewesen sein – „Auch wir als Bundesregierung haben von Anfang an darauf geachtet, dass Vertreter der Nama und Herero an allen Phasen beteiligt waren“. Weiter heißt es, dass man die politische Debatte, die es derzeit in Namibia zu dem Abkommen gibt, mit “großem Respekt” zur Kenntnis nehme.

Für Deutschland heißt es also abwarten, alles andere wäre wohl ein Eingriff in innenpolitische und innergesellschaftliche Prozesse des afrikanischen Landes. Was feststeht ist, dass postkoloniale Versöhnungsprozess alles andere als einfach sind. Die deutsch-namibische Versöhnung könnten einen Präzedenzfall dafür schaffen, wie ehemalige Kolonialmächte und ehemalige Kolonien einen gerechten Umgang mit den Gräueltaten, die der Kolonialismus mit sich brachte, finden können. Dafür bedarf es aber weiterer Gespräche auf Augenhöhe, bei denen alle Betroffenen, inklusive der Nachfahren der Opfer und Vertreter:innen von Opferorganisationen, zu Wort kommen. Außerdem muss die neue Bundesregierung transparent machen, was genau auf eine Einigung folgt, sodass “koloniale Kontinuitäten” endgültig überwunden werden können – und nicht in einer endlosen Spirale von fehlgeleiteter Entwicklungshilfe enden.

Auswärtiges Amt (26.01.2022). Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 26.01.2022
https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/regierungspressekonferenz/2508616

Bpb (22.06.2021). Völkermord an Herero und Nama: Abkommen zwischen Deutschland und Namibia.
https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/335257/abkommen-zwischen-deutschland-und-namibia

Bpb (n.a). Reparationen.
https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/das-junge-politik-lexikon/321049/reparationen

DW (21.09.2021). Chronologie der deutschen Kolonialgeschichte in Namibia.
https://www.dw.com/de/chronologie-deutschland-namibia-kolonie-geschichte/a-57763153

DW (26.01.2022) Abkommen zum Völkermord in Namibia soll neu verhandelt werden
https://www.dw.com/de/abkommen-zum-v%C3%B6lkermord-in-namibia-soll-neu-verhandelt-werden/a-60563432

Koalitionsvertrag (2021); S.126
https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf

RND (03.07.2021) Kolonialismusforscher fordert deutsche Impfstoffhilfe für Namibia https://www.rnd.de/politik/corona-deutsche-impfstoff-hilfe-fuer-namibia-von-kolonialismus-forscher-gefordert-FGXDEPPUNFCTDPG4TTD2KFEQ6M.html

Tagesschau.de (26.01.2022) Kolonialverbrechen: Herero und Nama fordern neue Verhandlungen
https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/bundesregierung-nama-herero-101.html

Tagessschau.de (09.07.2015) Genozidforscher zur Kolonialgeschichte: Warum „Entschuldigung“ so schwierig ist.
https://www.tagesschau.de/ausland/voelkermord-herero-101.html

Völkerstrafgesetzbuch (VStGB); § 6 Völkermord
https://www.gesetze-im-internet.de/vstgb/__6.html

Zeit ONLINE (28.05.2021). Deutschland erkennt Kolonialverbrechen als Völkermord an.
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2021-05/kolonialismus-deutschland-namibia-voelkermord-herero-nama-anerkennung?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F

Zeit ONLINE (13.07.2016) Gräuel an Herero als Völkermord klassifiziert.
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-07/bundesregierung-herrero-massaker-voelkermord

 

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